Heike Gätjen trifft jede Woche Menschen aus Hamburg. Heute: Mang Chen, Reiseunternehmer
China ist ein großes Land, sagt er gern. Und in diesem so profan klingenden Satz ist alles drin. Bei ihm, Mang Chen, dem Gründer und Inhaber der Caissa Touristic (Group) AG, dem größten Reiseveranstalter von Reisen aus China nach Europa und seit ein paar Jahren auch vice versa, Vorsitzender der Vereinigung der Chinesischen Kaufmannschaft in Deutschland und Vizepräsident der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft in Hamburg.
China ist ein großes Land. So heißt bei Mang Chen auch der Frust darüber, dass der durch die Olympischen Spiele erhoffte Reiseboom ausgeblieben ist. Airlines und Hotels hätten mit erhöhten Preisen zu hoch gepokert und Touristen abgeschreckt. Befriedigung darüber, dass seine Kunden trotzdem reichlich von und nach China unterwegs sind. Zurückhaltung und Verständnis gegenüber dem sozialen Gefälle zwischen Arm und Reich, das so riesig sei wie das Land, und dass dessen kleine Schritte zu einem gesellschaftlichen und politischen Wandel von außen kaum wahrgenommen werden würden. Freude auch darüber, dass es dort noch so ungeheuer viel für deutsche Touristen zu entdecken gäbe. Die ganze 6350 Kilometer lange Chinesische Mauer zum Beispiel. Nicht nur der kleine "Touri-Ausschnitt" nahe Peking. Und dass er, Mang Chen, es jetzt im Herbst verstärkt in Angriff nehmen werde.
Mang Chen ist ein positiver, heiterer und äußerst umtriebiger Mann. Umgeben von einem Hauch Rastlosigkeit. Mit schnellem Blick registriert er beim Treffen im Tsao Yang im Atlantic-Hotel die anderen Gäste. Nickt kurz chinesischen Geschäftsleuten ein paar Tische weiter zu. Palavert ausgedehnt am Mobiltelefon. Bespricht mit Juniorchef Cheng Wang auf Mandarin, dem Hochchinesisch, die Speisenfolge. Ciabatta scheint drin vorzukommen und Tofu. Aber nein, sagt Mang Chen. Tofu stimme noch. Geschmort mit Hackfleisch und chinesischen Gewürzen. Aber Ciabatta, nein. Natürlich nicht. Pak Choi mit Pilzen. Mit Tonko-Pilzen, ergänzt Herr Wang. Nein, chinesische Shiitake-Pilze, sagt Herr Chen. Das Ergebnis des Disputs bleibt mir verborgen. Hier gehe er gerne essen, sagt Herr Chen. Helle lichte Räume. Die Küche original chinesisch. Nicht modifiziert deutsch wie in vielen anderen Chinarestaurants. Selbst die Sichuan-Küche sei da nicht immer original. Diese Blütenpfefferkörner, dieses Prickeln auf der Zunge, das müsse stimmen. Oder kantonesisch. Auch da gäbe es gewaltige Unterschiede, sagt er.
Vielleicht sollten wir vor den Rezepten erst einmal seine vielfältigen Engagements abhaken. In Kurzform am besten. Herr Chen nickt, gießt uns grünen Tee nach. Sein "Training Institute for Chinese Speaking Tour Guides" also, in dem chinesisch sprechende Reiseleiter für ganz Europa ausgebildet werden. In europäischer Geschichte, Kultur, dem Christentum. Das "China Education & Training Center". Eine Zusammenarbeit mit der Uni Hamburg und dem HWWA, zur Weiterbildung chinesischer Beamter. Finanzbeamte, Notare und Richter, sagt er. In Sachenrecht auch. Ein gewaltiger Schritt. Sachenrecht heiße Schutz des Privateigentums, und das sei neu für China.
Herr Chen wägt gerne vorsichtig ab. Setzt seine Worte in perfektem Deutsch mit Bedacht. Hält sich sehr zurück. Aber nach der Suppe, einer Essenz aus Schwarzfederhuhn - "zehn Stunden gekocht!" -, lässt seine Wachsamkeit nach. Seine geschäftige Unruhe macht großer Begeisterung Platz. Für Hamburg. Diese Stadt! So schön! Liebe auf den ersten Blick. In diesem Sommer Anfang der Neunzigerjahre. Die Außenalster, dieser Anleger am Ende der Milchstraße. Ein Café. So interessant, so verlockend. Ein chinesisches Außenhandelszentrum. Alles ausbaufähig. Er jobbt in einem chinesischen Hotel an der Kirchenallee, wird dort von Geschäftsleuten wegen seiner Deutschkenntnisse um Hilfe gebeten. Firmengründungen, Formulare, Behördengänge, Flugtickets. 10 000 potenzielle Kunden allein in dieser Stadt! "Jeder Chinese, der auf der Straße geht, kann dein Kunde sein", sagt er sich. Und gründet 1993 sein Reiseunternehmen für Geschäftsleute. Zehn Jahre später organisiert er die erste Pauschalreise von China nach Europa nach dem sogenannten Approved Destination Status (ADS). Der Freigabe für private Ferienreisen.
Dieser grüne Tee, sagt er plötzlich, sei für einen Feinschmecker wie ihn nicht gut genug. Das Teewasser nicht klar, die Blätter nicht richtig grün und, nein, beim Geruch würde man auch nicht sofort den Geschmack atmen. Die Teekultur in China sei das Pendant zur deutschen Weinkultur. Als Schnupper-Reise im Herbst von ihm arrangiert: Besuch einer Teeplantage, eines Teehauses, einer Gourmet-Kochschule in Peking, dörfliches Kochen in seiner Heimatprovinz Sichuan. Und von der zweiten Reise müsse er auch noch schnell erzählen. Die am östlichen Ende der Großen Mauer beginnt, einen Abstecher zu einer Stelle macht, an der der Gelbe Fluss nur zwanzig Meter breit ist und es einen berühmten Wasserfall gibt. Von deutschen Touristen noch wenig besucht. Das sollten Sie mal machen.
Er ist eben ein geschäftstüchtiger Mann. Und höflich sei er, sagt er. Diese Höflichkeit Frauen gegenüber habe ihm bei den Deutschen sehr imponiert. Da sei in China noch einiges nachzuholen. Aber chinesische Frauen, sagt Herr Chen, würden bei der Eheschließung ihren Nachnamen behalten. Schon seit der kommunistischen Machtübernahme 1949. Seine Frau heißt Xiaohui mit Vornamen und mit Nachnamen Zhu, ihrem Familiennamen. U wie Ulrich, ergänzt er.
Seit zwanzig Jahren ist Mang Chen in Deutschland, hat einen deutschen Pass, denkt europäisch, träumt und rechnet nach wie vor in Chinesisch. Mehr als zehnmal pro Jahr reist er mit einem Visum wie jeder andere Besucher auch völlig problemlos in seine Heimat. Jedes Mal mit zwiegespaltener Seele und großer Sehnsucht im Herzen. In China nach Hamburg, seinem Zuhause, wo seine Frau, sein Sohn William, sein Haus, seine Firma, seine Freunde sind. In Hamburg nach China. Dem Land, den Gerüchen, den Geräuschen seiner Kindheit, wo seine Eltern, die beiden Brüder leben. Und manche ihn als zu europäisiert empfinden.
Mang, sein Vorname, bedeute "weit und grenzenlos", sagt Herr Chen. Eine folgenschwere Verheißung für jemanden wie ihn, der in den Jahren der Kulturrevolution aufwuchs. In denen alles verboten und gefährlich war. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schlimm das ist, sagt er eindringlich. Als Sechzehnjähriger wird er unvorsichtig. Spielt mit seinem Freund zusammen eine irgendwo gefundene Schallplatte heimlich ab. Hört sie immer und immer wieder. Die Pastorale von Beethoven. Eine Offenbarung! Mein Gott, sagt er. Was für eine Musik. Aus Deutschland. Nie gehört. Es müsse ein schönes Land sein, allein wegen der Musik. "Wir waren so hungrig nach allem da draußen." So sei er nach dem Ende der Kulturrevolution nach Gießen aufgebrochen. Um BWL zu studieren. Auch Religion war verboten, sagt Mang Chen nach einer Pause. "Alles war bis ins Herz und die Seele hinein kontrolliert." Jetzt sei er Taoist. Glaube an Yin und Yang. Sie wissen schon, diese beiden Pole, die alles beinhalten. Glaube an ein Leben im Hier und Jetzt. Und ärgert sich darüber, dass er manchmal zu ungeduldig, zu aufbrausend sei. Laut werde. Er sei ein Perfektionist und könne Fehler einfach nicht ertragen. Sein dreizehnjähriger Sohn William sei von großer Gelassenheit. Das würde er gern von ihm lernen. Und auch seine Frau sei so. Sie kämen gut miteinander aus, sie sei liebevoll und intelligent, sagt er verhalten. Die beiden kennen sich seit Kindertagen. Wissen alles voneinander. Eine gute Basis für eine Ehe? Ja, wir sind sehr glücklich, sagt Herr Chen. Pause.
Er hätte gern einen Dreißig-Stunden-Tag, sagt er dann. Für all das, was ihm noch so am Herzen liegt. Der von ihm gegründete Fanclub für den Pianisten Lang Lang mit mehr als tausend Mitgliedern. Der Sino-Europe-Cup, bei dem er einmal jährlich vierzig chinesische und vierzig europäische Unternehmer auf dem Golfplatz zusammenbringt. Seine Zeitung "Europe Business & Lifestyle" für Chinesen, die sich aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse wie in einer "kulturellen Wüste" fühlen würden. Kennen Sie nicht? fragt Herr Chen und lässt sie gleich an unseren Tisch bringen. Eine deutsch-chinesische Städtepartnerschaft plant er auch gerade. Mit Shangluo, einer Stadt in den Bergen. Mit zwei Millionen Einwohnern sei sie gerade mittelgroß. Als deutsche Partnerstadt würden 500 000 reichen. Goslar vielleicht. Es sind andere Dimensionen. China, Sie wissen schon, ist ein großes Land, sagt Herr Chen. Verabschiedet sich sehr höflich und hat gleich darauf wieder das Telefon am Ohr.
Mang Chen im Gespräch mit Heike Gätjen im Tsao Yang, dem Chinarestaurant im Hotel Atlantic. Foto: Laible
erschienen am 9. August 2008